In der Behandlung von Venenerkrankungen sind Kompressionsstrümpfe das wichtigste Element und bilden die Basis jeder Therapie. Jetzt sollen es solche Strümpfe auch im Sport richten.
Doch der Reihe nach:
Früher liess das kooperative Verhalten der Patienten stark zu wünschen übrig: Nur schon der Begriff „Gummistrumpf“ hatte einen abfälligen Beigeschmack und die verordneten Kompressionsstrümpfe waren mehr im Schrank als am Bein. Tempi passati! Die Strumpfindustrie hat gewaltige Fortschritte gemacht und die modernen Textilien erfüllen die meisten Wünsche der Patienten. Der früher verhasste Gummistrumpf ist zum nützlichen Bekleidungsstück mutiert, das von vielen Patienten sogar als modisches Accessoire benützt wird. Ganz nach dem Motto: Tue Gutes und zeig‘ es.
Um ein zustimmendes Werturteil zum Kompressionsstrumpf zu erreichen, war neben ständiger Innovation und Verbesserung der Textilien intensive ärztliche Aufklärungsarbeit nötig.
Ganz anders verlief die Entwicklung der Kompressionsbekleidung im Bereich des Sports. Das Wissen, dass Athleten in bestimmten Sportbereichen durch das Tragen von Kompressionsstrümpfen bessere Resultate erzielen könnten, galt lange Zeit als „Geheimrezept“ und anfänglich deckten Sportler ihre Kompressionsstrümpfe mit normalen Strümpfen ab, um damit gegenüber der Konkurrenz einen Vorteil erzielen zu können.
Progressive Kompression – ein Geheimrezept?
Das Angebot an Kompressionsstrümpfen für den Sportbereich ist riesig. Das lange Zeit als unantastbar geltende Prinzip der abnehmenden (degressiven) Kompression, die den medizinischen Kompressionsstrumpf definiert und ausmacht, wurde über Bord geworfen und es wurden plötzlich Sportstrümpfe mit zunehmender (progressiver) Kompression angeboten (Lesen Sie hierzu die „Studie zur progressiven Kompression„). Eine weitere heilige Kuh wurde geschlachtet, indem nicht mehr kontinuierlich über das ganze Bein verteilte Strümpfe angeboten wurden, sondern auch komprimierende Sportstrümpfe, die nur noch lokal als komprimierende Schläuche getragen werden. Als leicht anziehbare Wadenmanschetten entwickeln diese im Wadenbereich ihren grössten Druck. Solche Produkte werden heute mit den sportlichen Attributen „sleeves“, „tubes“ oder „Stulpen“ gehandelt.
Voreilig wurde von einem Paradigmawechsel gesprochen und ohne das Wirkprinzip des medizinischen Kompressionstrumpfes zu kennen wurde die degressive Kompression gar in Frage gestellt.
Das ist unsinnig. Die beiden Kompressionsarten, obschon gegenteilig im Druckprofil, widersprechen sich keinesfalls. Warum? Weil die Indikation völlig verschieden ist. Lassen sie mich das kurz erklären:
Wenn auf ein geschlossenes mit Flüssigkeit gefülltes Rohrsystem Druck ausgeübt wird, weicht die Flüssigkeit aus. Dies gilt nur bei Flüssigkeiten, weil sie im Gegensatz zu Gasen nicht komprimierbar sind. Unser Blutgefäss-System ist genau ein solches System. Nun stellt sich die Frage: In welche Richtung weicht das Blut aus? Und hier nun kommt der entscheidende Punkt: Sind die Venenklappen intakt, so kann das Blut nur in eine Richtung fliessen, völlig unbesehen, ob nun der Druck degressiv oder aber progressiv ist. Was heisst das?
Venengesund vs. Venenkrank
Beim Venengesunden, der komprimierende Strümpfe trägt, kann es Sinn machen, nur dort zu komprimieren, wo das grösste Blutvolumen liegt, d.h. im Wadenbereich. Bei intakten Venenklappen besteht primär keine Gefahr, dass es zu einem Rückfluss in die falsche Richtung mit Schwellung der Knöchel und Füsse kommt. Ob dadurch die Venenklappen infolge Mehrbelastung auf Dauer geschädigt werden könnten, weiss man heute noch nicht. Da aber der Sportler solche Leistungssteigerungshilfen nicht permanent trägt, besteht kaum eine Gefahr.
Ganz anders beim Venenkranken mit nicht mehr funktionsfähigen Klappen. Hier besteht die Gefahr, dass das Blut, das ohnehin Schwierigkeiten hat, in die korrekte Richtung zu fliessen, mit progressiver Kompression die Erkrankung verschlimmert:
Fazit
- Venengesunde Sportler können von Kompressionsstrümpfen mit progressiver oder auch lokaler Kompression profitieren.
- Venenkranke Sportler mit insuffizienten Venenklappen sollten Kompressionsstrümpfe mit degressiver Kompression tragen, wie das auch für Venenkranke ohne sportliche Aktivitäten gilt.
Ob mit Kompressionsstrümpfen im Sport eine Leistungssteigerung erzielt werden kann, bleibt umstritten. Während eine neue Studie keine Leistungssteigerung nachweisen konnte(1) zeigte eine andere Studie(2), dass Kompression die Muskelermüdung vermindert und es dabei keine Rolle spielt, welche Kompression verwendet wird. Eine weitere Untersuchung belegt, dass Kompressionssocken keine Verbesserung der Pumpwirkung der Wadenmuskeln bewirken, was hingegen beim Tragen unelastischer Manschetten hingegen der Fall war.
Das Tragen von Kompressionsstrümpfen während der Erholungszeit nach intensiver sportlicher Tätigkeit scheint einen positiven Effekt zu haben(3).
Bereits 2010 wurde der Nutzen einer Kompressionsbekleidung für die gesamte untere Körperhälfte nach intensiver sportlicher Belastung erkannt. Sportlerinnen, die Kompressionsbekleidung zur Regeneration trugen erzielten am folgenden Tag bei Maximalkraft- und Schnellkrafttests die besseren Ergebnisse.
Eine ganz neue Studie konnte keine Leistungsverbesserung durch das Tragen bei Dauerleistung (Marathon) nachweisen.(4)
Bringen nun Kompressionshilfen beim Sport etwas oder nicht?
Diese Frage kann nicht einfach mit „ja“ oder“ nein“ beantwortet werden. Zu gross sind die Unterschiede der Kollektive: Um welche Sportart geht es? Ausdauersport? Ist der Sportler venengesund oder venenkrank? Ist er trainiert oder nicht? Wann trägt er die Kompression? Vor, während, nach dem Sport oder gar immer?
Sicher bringt das Tragen von Kompressionsstrümpfen beim Sport keine Nachteile. Der grössere Vorteil scheint jedoch zu resultieren, wenn Kompressionsstrümpfe in der Regenerationsphase getragen werden.
Wir ziehen aufgrund der heute vorliegenden Studienlage folgende Schlussfolgerungen:
-
- Venenkranke Sportler sollten aufgrund ihrer Erkrankung nur degressive Kompressionsstrümpfe tragen.
- Venengesunde Sportler tragen Kompressionsstrümpfe degressiver, progressiver oder lokaler Kompression. Der Entscheid kann individuell gefällt werden.
- Das Tragen von Kompression in der Regenerationsphase bringt einen zusätzlichen Nutzen.
- Die niedrigste Kompressionsstärke, die noch den gewünschten Erfolg zeigt, genügt.
Quellennachweis
- J Orthop Sports Phys Ther. 2015 Apr 21:1-31. [Epub ahead of print] The Use of Compression Stockings During a Marathon Competition to Reduce Exercise-Induced Muscle Damage: Are They Really Useful? Areces F1, Salinero JJ, Abian-Vicen J, González-Millán C, Ruiz-Vicente D, Lara B, Lledó M, Del Coso J.
- Int J Sports Med. 2015 Mar;36(3):220-5. doi: 10.1055/s-0034-1390495. Epub 2014 Oct 27. No graduated pressure profile in compression stockings still reduces muscle fatigue. Miyamoto N1, Kawakami Y2.
- J Sports Med Phys Fitness. 2015 Apr;55(4):258-66. Epub 2014 Oct 10. Effects of three postexercice recovery treatments on femoral artery blood flow kinetics. Ménétrier A1, Mourot L, Degano B, Bouhaddi M, Walther G, Regnard J, Tordi N.
- J Orthop Sports Phys Ther. 2015 Apr 21:1-31. [Epub ahead of print] The Use of Compression Stockings During a Marathon Competition to Reduce Exercise-Induced Muscle Damage: Are They Really Useful? Areces F1, Salinero JJ, Abian-Vicen J, González-Millán C, Ruiz-Vicente D, Lara B, Lledó M, Del Coso J.
Autor:
D. Angehrn, Geschäftsführer und beratender Arzt bei kompressionsstruempfe.ch